0. Einführung
1. Grundsätzliches zur Internetethik


2. Internetaktivitäten, deren Verbot generell sinnvoll erscheint
2. 1. Veröffentlichung intimer Bilder gegen den Willen der Beteiligten
2. 1. 1. Sex vor der Webcam
2. 1. 2. Foto der Ex-Freundin im Internet
2. 2. Einschüchterung durch Veröffentlichung persönlicher Daten
2. 3. Sogenannte “Tasteless”-Seiten: Darstellung extremer Gewalt
2. 3. 1. Bilder der Opfer des Anschlags auf das World Trade Center
2. 4. Pornographie
2. 5. Rechtextremistische und nationalsozialistische Propaganda


3. Herwart Holland-Moritz: Eine Stimme aus Deutschland für grenzenlose Meinungsfreiheit
4. Die technischen Gegebenheiten und ihre ethische Problematik
5. Rechtliche Situation in Deutschland
6. Ethische Bewertung
7. Resümee
8. Literatur




2. Internetaktivitäten, deren Verbot generell sinnvoll erscheint


2. 1. Veröffentlichung intimer Bilder gegen den Willen der Beteiligten


2. 1. 1. Sex vor der Webcam



Ein siebzehnjähriger Schüler in den Niederlanden hatte seine private Homepage zusätzlich mit dem Feature versehen, über eine Webcam (Internetkamera) Bilder aus seinem Zimmer zu betrachten. Dabei erneuerte die Kamera in einem Abstand von einigen Minuten selbständig das Bild auf der Webseite durch eine aktuelle Aufnahme des Zimmers. Als der Besitzer der Homepage “Besuch von seiner Freundin bekam, vergaß er die Webcam abzuschalten.” (25)  Als Folge seiner Unachtsamkeit sendete die Webcam weiter in geringen Abständen aktuelle Bilder auf seine Webseite, so daß er dort unfreiwillig eine “nicht ganz jugendfreie Veranstaltung lieferte”. (26)  Zu dem fraglichen Zeitpunkt hielt sich auf dessen Seite zufällig ein anderer Websitebesitzer auf, mit dem er wegen der ungenehmigten Übernahme des Designs von einer anderen niederländischen Privatseite im Streit lag. Er speicherte die regelmäßig gesendeten Bilder ab und veröffentlichte sie im Netz. Innerhalb kürzester Zeit (27)  waren Geschichte und die zugehörigen Bilder in der gesamten Welt bekannt. Der betroffene Schüler und sein Vater versuchten, “die Angelegenheit wieder aus dem Netz zu schaffen, bevor die Eltern der Freundin etwas mitbekommen” (28) , was aber praktisch wegen der bereits weltweiten Verbreitung unmöglich war. In der Folge berichtete sogar die niederländische Tageszeitung “De Volkskrant” über den Vorfall. (29) 




2. 1. 2. Foto der Ex-Freundin im Internet


Die Kreditkartenfirma Mastercard versuchte im Juli diesen Jahres gegen die Hackergruppe “Attrition.org” vorzugehen, weil die Gruppe auf ihrem Server eine Anzahl “schlüpfrige[r] bis pornografische[r] Abwandlungen von MasterCards "Priceless"-Kampagne” (30)  gesammelt haben. Im Stile der auch in Deutschland durchgeführten Kampagne sind dort die Bilder tatsächlicher “Ausrutscher” kommentiert. Zu dem Bild einer Eiskunstläuferin mit verrutschtem Dekolleté heißt es z.B. : “Das perfekte Outfit, um bei den olympischen Spielen zu laufen: 500 Dollar. Ohrringe von Wal-Mart: 2 Dollar. Vergessen, bei der nationalen Fernsehübertragung einen trägerlosen BH anzuziehen: unbezahlbar!” (31)  Das eigentliche Problem ist aber nicht, daß durch Sammlung und Anbieten der im Internet verbreiteten Parodien durch die Hackergruppe hier die Markenrechte von Mastercard verletzt sein könnten (während die Hackergruppe der Meinung ist, daß Parodien von der Meinungsfreiheit gedeckt sind), sondern darin, daß es sich um Bilder zumeist sehr intimer Situationen handelt, deren Veröffentlichung die abgebildeten Personen kaum zugestimmt haben dürften. Eines der Bilder besteht aus einer Collage verschiedener privater Bilder einer jungen Frau, deren Mittelpunkt eines ausmacht, das ohne das Etikett “jugendfrei” auskommen muß. In dem Bild selber befindet sich der Text “Weihnachtsgeschenke für zwei Jahre: 420 Dollar. Jeden Freitagabend ins Hotel gegangen: 2000 Dollar. [...] Mich für meinen besten Freund verlassen und vergessen, daß ich diese Bilder habe: unbezahlbar.” (32)  Zusätzlich sind (vermutlich) der Name und der Wohnort der Frau angegeben. Am unteren Rand findet sich das Motto der Collage, die keinen Zweifel an der Motivation zur Erstellung des Bildes läßt: “go fuck yourself misti!”. Dieses Bild (und eine Anzahl ähnlicher, bei denen aber persönliche Rache keine Rolle zu spielen scheint) findet sich auf vielen sogenannten “Funseiten” im Internet, ohne daß die abgebildeten Personen sich dagegen zur Wehr setzen könnten.
Wie aus dem Bericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz hervorgeht, finden sich im Internet auch auf kommerziellen Sexseiten eine große Anzahl heimlich aufgenommener Bilder und Filme, (33)  gegen die nach heutiger deutscher Rechtslage nur zivilrechtlich vorgegangen werden kann. Allerdings müßten die abgebildeten Personen erst selbst von ihrer unerwünschten Abbildung Kenntnis haben, bevor sie aufgrund ihres Rechts am eigenen Bild klagen könnten. (34) 








2. 2. Einschüchterung durch Veröffentlichung persönlicher Daten


Die amerikanische Webseite “Nuremberg Files” veröffentlicht u. a. Listen mit den Namen und Adressen von Abtreibungsärzten, Mitarbeitern von Abtreibungskliniken und Befürwortern des Rechts auf Abtreibung in den USA. (35)  Die “Fahndungsplakate” auf der Webseite enthalten teilweise auch Fotos und Autokennzeichen der als “Babyschlächter” bezeichneten Personen. Dabei sind die Namen derjenigen durchgestrichen, die durch Mordanschläge militanter Abtreibungsgegner ums Leben kamen, die dabei verletzt wurden, werden grau gedruckt. (36)  Zwar rufen die Betreiber der Webseite an keiner Stelle zu Gewalt oder Mord an den aufgeführten Personen auf, doch das Bundesgericht in Portland verstand die Äußerungen auf der Webseite einstimmig als indirekten Aufruf zum Töten der aufgeführten Personen. (37)  Allerdings wurde der Gerichtsbeschluß, der die Verantwortlichen zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von über 100 Millionen Dollar verurteilte, durch ein Berufungsgericht in San Francisco wieder aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die drei Richter dort einstimmig zu dem Urteil kamen, daß “[p]olitische Meinungsäußerungen [...] nicht deswegen bestraft werden [dürfen], weil sie es wahrscheinlicher werden las[s]en, dass jemand zu irgendeiner Zeit in der Zukunft von einem nicht damit verbundenen Dritten verletzt werden könnte". (38) 


2. 3. Sogenannte “Tasteless”-Seiten: Darstellung extremer Gewalt


Ein anscheinend zunehmendes Phänomen (39)  im Internet sind Webseiten, die Bilder und Videos von tödlichen Unfällen, zerstückelten Leichen und andere Geschmacklosigkeiten zeigen. (40)  Ende August 2001 sorgte ein Internetvideo für Aufregung, das zeigte, wie “eine Katze bei vollem Bewußtsein zweimal auf den Kopf geschlagen, enthauptet, geschlachtet und gekocht” (41)  wird. Daß es sich bei dem Video um eine bewußte Provokation und nicht um ein Mißverständnis aufgrund unterschiedlicher Eßtabus handelt, beweist der Umstand, daß das Video als musikalische Untermalung das Stück “Bohemian Rhapsody” der Gruppe Queen benutzt (und nicht etwa Musik aus Korea, woher das Video angeblich stammt.) (42)  Zwar ist zu beachten, daß zumindest einige der verbreiteten Bilder keine realen Aufnahmen, sondern geschickt mit Bildbearbeitungssoftware erstellte realistisch anmutende Fotomontagen sind (wie etwa das vorgebliche Foto, das einen asiatischen Geschäftsmann beim verspeisen eines menschlichen Säuglings zeigte), die Wirkung aber dürfte - eben wegen der von einem realen Foto nicht zu unterscheidenden technischen Perfektion - die selbe sein wie bei echten Fotos. (43)  Jugendschützer gehen davon aus, daß “'Tasteless'-Angebote geeignet [sind], Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden”. (44) 


2. 3. 1. Bilder der Opfer des Anschlags auf das World Trade Center


Eine der Seiten, die sich auf Internetvideos von Leichen und Tod spezialisiert hat, bietet bereits wenige Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 Bilder von verstümmelten Leichen und abgetrennten Körperteilen an, ebenso wie ein Video, das den tödlichen Sprung eines Menschen aus dem Hochhaus zeigt. Auf Kritik an dem Angebot reagiert der Anbieter zynisch: “Wir zeigen die Wirklichkeit, wenn du mit dem Leben nicht zurecht kommst, dann besuch [diese Seite] bitte nicht.” (45) 


2. 4. Pornographie

Im Internet ist eine große Anzahl pornographischer Darstellungen frei zugänglich. Zwar sind die Hinweise richtig, daß die Mediendarstellungen, die den Eindruck erwecken, 90 Prozent der Internetangebote hätten einen sexuellen Bezug, maßlos übertreiben, auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, daß es sich um eine immense Anzahl sexuell orientierter Seiten handelt, wenn “die US-Suchmaschine Altavista zweieinhalbmal so viele Seiten mit dem Begriff 'music' wie mit dem Begriff 'sex' [findet].” (46)  Von 1095 einer systematischen Internetsuche des Sexual- und Rechtssoziologen Michael Schetsche waren immerhin die Hälfte der Bilder aus frei zugänglichen Quellen der “einfachen Pornographie” zuzuordnen, also eigentlich ausschließlich Erwachsenen vorbehalten, während die verbotene “harte Pornographie” “kaum” gefunden wurde, also ebenfalls zugänglich waren. (47)  Pornographie kann also über das Internet leicht gefunden werden, wenn man danach sucht. In Einzelfällen kann es ebenfalls vorkommen, daß Suchmaschinen über harmlose Suchbegriffe auf pornographische Seiten verweisen, (48)  so daß Kinder auch unbeabsichtigt auf Pornoseiten gelangen könnten.




2. 5. Rechtextremistische und nationalsozialistische Propaganda


Von Rechtsextremisten und Nationalsozialisten wird das Internet auch als Propagandaplattform genutzt. (49)  Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, soll hier nur beispielhaft auf die Webseite des amerikanischen Neonazis Gary Lauck verwiesen werden. Für Aufsehen sorgte er zuletzt, als er sich im Frühjahr die Internetadresse “verfassungsschutz.net” sicherte und auf seine Propagandaseite umleitete. (50)  Dort bot er eine antisemitische Version des Spieles “Moorhuhnjagd” an, bis ihm die Herstellerfirma des unveränderten Spiels das gerichtlich untersagen ließ. Zwei weitere nationalszialistische Computerspiele können dort weiterhin kostenlos heruntergeladen werden. (51) 




Fußnote 25      Wolf-Dieter Roth, Sex-Unfall mit der Webcam, in: Telepolis 22. 6. 2001 (Roth).

Fußnote 26      Roth.

Fußnote 27      Roth spricht von 12 Stunden.

Fußnote 28      Roth.

Fußnote 29      Vgl. Roth.

Fußnote 30      Hackerseite droht Ärger mit MasterCard, in: Spiegel online 2. 7. 2001 (Hackerseite).

Fußnote 31      Übersetzung in Hackerseite.

Fußnote 32      Originaltext auf Englisch: “Christmas gifts for two years: $420 going to hotels every friday night: $2000 [...] leaving me for my friend and forgetting I had these pics: priceless.”

Fußnote 33      Vgl. Steven Geyer, Web-Cam-Spannerei darf nicht straffrei bleiben, in: Spiegel online 6. 4. 2001. Allerdings ist davon auszugehen, daß es sich zum größten Teil um professionell angefertigtes Material handelt, das nur den Eindruck erwecken soll, es sei unbemerkt aufgenommen worden. Vgl. ebd.

Fußnote 34      Vgl. ebd.

Fußnote 35      Vgl. Florian Rötzer, Die Nuremberg Files sind wieder im Netz, in: Telepolis 23. 2. 1999 (Nuremberg Files); ders., Einschüchterung gehört zur politischen Kultur, in: Telepolis 29. 3. 2001 (Einschüchterung).

Fußnote 36      Vgl. Einschüchterung.

Fußnote 37      Vgl. Nuremberg Files; Einschüchterung.

Fußnote 38      Gerichtsbeschluß zitiert nach Einschüchterung.

Fußnote 39      Vgl. “Schwere sittliche Gefährdung”, in: Spiegel online 17. 6. 2001 (Gefährdung).

Fußnote 40      Vgl. Ernst Corinth, Zwischen Schock, Ekel und absurder Komik, in: Telepolis 23. 7. 2000; Leander Kahney, Gruesome Movie Sparks Outrage, in: Wired News 29. 8. 2001 (Kahney).

Fußnote 41      Kahney: “a conscious kitten being struck on the head twice, decapitated, butchered and cooked”.

Fußnote 42      Vgl. Kahney.

Fußnote 43      Vgl. Gefährdung.

Fußnote 44      Gefährdung.

Fußnote 45      “We show reality, if you can't handle life, please don't visit Ogrish.” zitiert nach: Ernst Corinth, It's Raining Men, in: Telepolis 26. 9. 2001.

Fußnote 46      Christiane Eichenberg / Ralf Ott, Poppnet. Sex im Internet: Mehr Last als Lust, in: magazin für computertechnik 16/2000 (Eichenberg / Ott), 69.

Fußnote 47      Vgl. Eichenberg / Ott, 69.

Fußnote 48      Ebd.

Fußnote 49      Vgl. Schröder.

Fußnote 50      Vgl. Florian Rötzer, Gary Lauck provoziert den Verfassungsschutz, in: Telepolis 5. 3. 2001.

Fußnote 51      Ebd.